Stiefels Methode klappt ohne Gips!

3D-Visualisierung einer mit dem neuen Verfahren gesicherten Schuheindruckspur (rot) und des Vergleichsschuhs (grün).
Stiefels Methode klappt ohne Gips!
Düsseldorfer Kriminalisten tüfteln an der Verbesserung der Aufnahme von Beweisen und entwickeln ein fotogrammetrisches Verfahren zur Sicherung von Schuh(eindruck)spuren.
Streife-Redaktion

Was haben die Comic-Heimatstadt Entenhausen und die Landeshauptstadt Düsseldorf gemeinsam? Ganz einfach! Zwei ganz besondere Erfinder. Was in Entenhausen Daniel Düsentrieb ist, ist in Düsseldorf der Kriminaloberkommissar Maikel Stiefel (32). Nur dass Stiefel nicht „Helferlein“ an seiner Seite hat, den kleinen Roboter mit Glühbirne als Kopf, sondern seinen waschechten Kollegen Kriminalhauptkommissar Andreas Nick (46). In der Kriminaltechnischen Untersuchungsstelle (KTU) arbeiten sie Seite an Seite.

Schon einiges haben die beiden Tüftler in der Vergangenheit entwickelt, doch jetzt gibt es eine bahnbrechende Erfindung: eine neue Methode zur Sicherung von Schuheindruckspuren, berührungslos und dreidimensional, mit Fotogrammetrie. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, bei dem durch Fotografie aus einer Vielzahl von überlappenden Bildaufnahmen scheibchenweise ein 3D-Modell erstellt wird. Das klingt einfach. Tatsächlich waren aber bisher alle Versuche gescheitert, das Verfahren für kriminaltechnische Zwecke zu digitalisieren.

Seit Jahrzehnten gibt es nur ein Verfahren, um Schuheindruckspuren im Erdreich an Tatorten zu sichern. Sie werden mit angerührtem Gips ausgegossen. „Je nach Witterung hat der Gips schnell die fasche Konsistenz oder das Erdreich wird beim Eingießen verändert“, erklärt Stiefel die besonderen Herausforderungen. Konsequenz: Die Schuhspur ist unbrauchbar.

Wie kam Stiefel nun darauf, die Methode für Schuheindruckspuren verändern zu wollen? Alles begann im Jahr 2020. Stiefel wurde beim Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW zum Sachverständigen für Schuh- und Reifenspuren ausgebildet. Referent Jochen Wirz berichtete von mehreren Versuchen, das klassische Gipsverfahren durch 3DScans zu ersetzen. Der getestete Streifenlichtprojektionsscanner brauchte aber eine zeitaufwendige Schulung, war teuer und alles in allem war er nicht für die Tatortarbeit geeignet. Da war bei Stiefel der „Keim gesät“. „Geht nicht gibt’s nicht“, dachte er sich und fing zu Hause an zu tüfteln, saß nächtelang „im stillen Kämmerlein“. Sein Ansatz: das fotogrammetrische Verfahren.

Das erste Ziel: 3D-Modelle von Vergleichsschuhen der Tatverdächtigen zu erstellen, und zwar automatisiert und gerichtsverwertbar. „Mir war es wichtig, dass die Anwendung ganz einfach für die Kolleginnen und Kollegen wird. Auf Knopfdruck“, erinnert sich Stiefel. Es entstand ein Würfel, in dem in der Mitte ein Schuh fixiert wird. Dieser wird per Fotogrammetrie durch eine hochauflösende Spiegelreflex-Kamera erfasst. Die Aufnahmen in diesem „KT-ScanCube“ sorgen für eine automatisierte Digitalisierung von Schuhen in 3D.

Weitere Ideen und Entwicklungsschritte waren notwendig, um das System zur finalen Serienreife der Beweissicherung zu bringen. Während des gesamten Entwicklungsprozesses besprach Stiefel im Büro seine Ideen und Prototypen mit seinem Kollegen Nick. Nick stellte die richtigen Fragen, brachte weitere Ideen ein und schob das Verfahren weiter voran.

Schon als Kind war Stiefel handwerklich begabt. Zum Leidwesen seiner Eltern schraubte er schon als Vierjähriger Türklinken ab und nahm mit seinem Schraubendreher alles auseinander, was ihm in die Quere kam. Später kamen Elektro-Reparaturen hinzu. Ersatzteile, die es nirgends zu kaufen gab, druckte er mit seinem 3D-Drucker. Eines seiner Hobbys ist seit Jahren eine Grafiksoftware, mit der er 3D-Modelle, Texturen, Computergrafiken und Animationen erstellen kann. Die benutzte er zum Beispiel, um sein Jugendzimmer umzuräumen. „Andere schieben ihre Möbel hin und her. Ich habe meine Möbel virtuell mit dem Programm nachgebaut und sie in meinem virtuellen Zimmer hin und her geschoben, bis es mir gefallen hat. Erst dann habe ich meine echten Möbel platziert“, erinnert er sich. „Die meisten Programmiersprachen habe ich mir im Selbststudium zu Hause beigebracht“, schildert Stiefel.

Ein Beruf im Bereich „Technik und Ingenieurwesen“ schien naheliegend, aber er studierte zunächst Geschichte und Philosophie. Sein Hobby zum Beruf zu machen, schien in weite Ferne gerückt, doch „Kommissar Zufall“ führte ihn zurück auf den richtigen Pfad. „Während meines Studiums bei der Polizei musste ich ein Praktikum im Kriminalkommissariat 43, also bei der Kriminaltechnischen Untersuchungsstelle (KTU), absolvieren. Darauf hatte ich eigentlich gar keine richtige Lust“, erinnert sich Stiefel. Hier traf er auf Andreas Fritsch, seinen „Bärenführer“. „Andreas ist für mich wirklich ein Vorbild. Obwohl er fast 40 Jahre dabei war, brannte er für die Spurenkunde. Er war voller Energie und hatte eine wahnsinnige Fachkompetenz“, schwärmt Stiefel für seinen Tutor. Für ihn war nach dem Praktikum klar, dass er so schnell wie möglich zur KTU möchte.

Und wie baut ein Polizist Gegenstände wie einen Beleuchtungsrahmen oder einen Würfel, mit dem man Schuhe scannen kann? Dafür recherchiert Stiefel im Internet nach Bauteilen, die dem ersten Anschein nach für seine Idee geeignet sein könnten. „Ohne meine Kolleginnen und Kollegen in der KTU würde das nicht funktionieren. Sie halten mir und Andreas Nick dankenswerterweise den Rücken frei, wenn nötig“, betont Stiefel den guten Zusammenhalt seiner Einheit. „Andreas ist ein großartiges Organisationstalent und Experte – nur im Team mit ihm ist das alles möglich“, ergänzt er.

Stiefel und Nick ist ein echter Durchbruch gelungen, der ihnen auch einen internationalen Auftritt bei den Europol Excellence Awards in Prag beschert hat. Hier werden jährlich die innovativsten Maßnahmen und Initiativen der europäischen Polizeibehörden ausgezeichnet. Mit ihrem 3D-Schuhspuren-Projekt haben sie es in die Finalrunde geschafft. Sie setzten sich unter insgesamt 70 eingereichten Projekten aus 14 europäischen Ländern durch. Das war bis dahin noch keinem Projekt aus NRW gelungen.

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In dringenden Fällen: Polizeinotruf 110