Die Geschichte der Spionage ist beinahe so alt wie die Geschichte selbst. Militärische, politische oder wirtschaftliche Informationen fremder Mächte galten bereits in der Antike als wertvoll. Späher und Spione waren schon im alten Rom für Julius Cäsar unterwegs, die Ägypter schickten zur Sicherung ihrer Macht die Augen des Pharaos los. Viele Jahrhunderte später fingen Agenten von Queen Elizabeth I. codierte Briefe ihrer schottischen Gegenspielerin Maria Stuart ab. Und in der jungen Bundesrepublik brachte der enttarnte DDR-Spitzel Günter Guillaume Bundeskanzler Willy Brandt zu Fall.
Wie agieren eigentlich heute Spione oder Agenten?
„Professionelle Agenten vom Typ James Bond gibt es nach wie vor, doch für uns als Polizei bleiben sie meist unsichtbar“, erklärt Kriminaloberrat Şevket Akkuş. Der 42-Jährige leitet das neu geschaffene Teildezernat 23.3 im Landeskriminalamt Düsseldorf, das sich mit Spionage, Staatsterrorismus und Proliferation befasst. „So ein Agent kostet in der Ausbildung wie im Einsatz sehr viel Geld und birgt auch Risiken. Wenn er auffliegt, können seine Machenschaften unter Umständen auf den Auftraggeber zurückfallen.“
Aktuell, im Jahr 2024, werden vor allem sogenannte Proxys oder Low Level Agents losgeschickt, da sich ihre Auftraggeber sehr schwierig nachvollziehen lassen. Proxys sind nichts anderes als Stellvertreter. Ausländische Dienste machen sich solche Akteure für ihre Zwecke zunutze und können dabei die direkte Konfrontation vermeiden. Etwas abwertender ist der Begriff des Low Level Agent. Ein für die „Drecksarbeit“ engagierter Handlanger ist nämlich in den Augen feindlich gesinnter fremder Mächte kein großer Verlust, sollte er auffliegen.
Die Begriffe lassen sich nicht klar voneinander trennen und werden oftmals als Synonyme verwendet. Eine Möglichkeit der Unterscheidung bezieht sich auf den Hintergrund der Agenten. Proxys sind oft bereits in Strukturen Organisierter Kriminalität verankert. Insofern wissen fremde Mächte diese bestehenden Strukturen für ihre Ziele zu nutzen. Low Level Agents agieren als Allgemeinkriminelle dagegen eher im Alleingang und werden für kleinere Aktionen eingesetzt. Personen, die keiner festen organisatorischen Struktur angehören, können lange im Verborgenen wirken. Sie werden häufig durch Mittelspersonen, über Social Media oder über Messenger-Dienste zur Ausspähung oder Sabotage angeworben.
„Die drei Männer, die Anfang Juni am Eiffelturm in Paris fünf Särge abgestellt haben, sind definitiv Proxys oder Low Level Agents gewesen“, sagt Şevket Akkuş. Frankreich vermutet hinter der Aktion den russischen Geheimdienst. Die Särge waren mit französischen Flaggen und einem Banner mit der Aufschrift „Französische Soldaten aus der Ukraine“ versehen gewesen. Die Tatverdächtigen – ein Deutscher, ein Ukrainer und ein Bulgare – wurden festgenommen. Letzterer gab an, dass er für den Transport der Särge 40 Euro bekommen habe.
Zur Kontaktaufnahme solcher kleinen Agenten oder Proxys wird oftmals eine ganze Kette von Mittelsmännern verwendet“, weiß Akkuş. Das ist im Fall von Russland auch deshalb nötig, weil russische Diplomatinnen und Diplomaten seit 2022 vermehrt ausgewiesen werden.
Mehr Fälle von Spionage
„Spätestens seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist ein deutlicher Anstieg von Gefährdungssachverhalten im Bereich der Spionage zu verzeichnen. Man kann hier von hybrider Kriegsführung sprechen. Auch mit kleinen Aktionen kann Unruhe in der Gesellschaft geschürt und das Vertrauen in den Staat geschwächt werden. Ein professionelles Störfeuer sozusagen“, so der Kriminaloberrat.
Auch andere Staaten setzen ihre Dienste gegen Deutschland ein, um Informationen zu erlangen und ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Einer der Hauptakteure ist der Iran. Für seinen Staatsterrorismus nutzt das iranische Regime unter anderem Proxys aus der Organisierten Kriminalität. So wurde Babak J., der Ende 2022 einen Brandsatz auf die Synagoge in Bochum warf, von Hells-Angels-Mitglied Ramin Y. für die Tat angeworben. Dieser wiederum handelte gemäß schriftlicher Urteilsbegründung von Teheran aus für iranische staatliche Stellen.
„Spionage war bislang ein Thema, das hauptsächlich die Nachrichtendienste beschäftigt hat“, erklärt Akkuş. Die Polizei ist erst an Bord, wenn die Ermittlungen aufgenommen werden oder wenn eine konkrete Gefährdung vorliegt. Wird etwa bekannt, dass in Nordrhein-Westfalen ein Verräter, Überläufer oder Dissident im Auftrag eines fremden Staates umgebracht werden könnte, werden polizeiliche Maßnahmen ergriffen. „Die weltpolitische Lage hat sich verändert. Das Vorgehen ist deutlich offensiver und robuster geworden. Fremde Geheimdienste schrecken weder vor offener Gewalt noch vor Tötungsoperationen zurück. Für einige Staaten scheint es keine roten Linien mehr zu geben.“
Durch den deutlichen Anstieg an Fällen und den Einsatz von Low Level Agents oder Proxys ist Spionage inzwischen auch außerhalb der Gefahrenabwehr zu einem wichtigen Thema für die Polizei geworden. Die Schwierigkeit ist dabei, Straftaten überhaupt als einen Akt der Spionage oder Sabotage zu erkennen. Das können unerlaubte Drohnenflüge, Foto- oder Videoaufnahmen, Hausfriedensbrüche, Graffiti oder sonstige Sachbeschädigungen sein. Solche Vergehen können auf den ersten Blick schnell als Dummejungenstreich abgetan werden, da ein Bezug zu ausländischen Interessen nicht direkt erkennbar ist. „Bei kleinen Sachbeschädigungen oder unerlaubtem Betreten eines Geländes soll man natürlich nicht per se einen bösen Spion vermuten“, sagt Şevket Akkuş. „Aber es kann helfen, zu hinterfragen, wer oder was hinter so einem Sachverhalt stecken könnte und für wen gewisse Informationen nützlich sein könnten.“
Speziell geschulte Ermittlerinnen und Ermittlern im Einsatz
Daher ist eine Aufgabe des Teildezernats 23.3, die Polizei Nordrhein-Westfalen für das Themenfeld der Spionage als Teil der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) zu sensibilisieren. Das geschieht auch mithilfe der neu ernannten Themenverantwortlichen Spionage. In allen 16 Kriminalinspektionen Polizeilicher Staatsschutz des Landes fungiert nun mindestens eine Ermittlerin oder ein Ermittler als dezentrale Ansprechperson für den Bereich Spionage. So ist sichergestellt, dass ein Informationsaustausch zwischen Kreispolizeibehörden, Themenverantwortlichen und Landeskriminalamt (und damit auch dem Verfassungsschutz) stattfindet. Mit diesen speziell geschulten Ermittlerinnen und Ermittlern begegnet man den hohen Zahlen von Spionageverdachtsfällen. Das Teildezernat 23.3 ist auch für den fachlichen Input für Dienstunterrichte und Fortbildungen zuständig. Im vergangenen November fand die erste Fachtagung Spionage im LKA statt. Um Spionageverdachtsfälle besser zu erkennen, soll ein entsprechendes Konzept entwickelt werden. Das Fachportal zu PMK wird zukünftig mit themenspezifischen Spionage-Beiträgen angereichert.
Şevket Akkuş und sein Team sind in Kontakt mit Einrichtungen Kritischer Infrastruktur, wie Unternehmen im Energiesektor oder im Bereich der Telekommunikation. Sinnvolle Kommunikationslinien zu schaffen sowie verschiedene Akteure miteinander zu vernetzen, zählt ebenfalls zu den Aufgaben des Teildezernats. Die Abstimmung mit anderen Behörden ist immer wieder nötig. Im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) von Bund und Ländern werden regelmäßig relevante Gefährdungssachverhalte erörtert. Das Teildezernat 23.3 nimmt an diesen Sitzungen ebenfalls teil. „Die Anzahl der Sitzungen im GETZ hat sich in den letzten drei Jahren stark erhöht. Daran zeigt sich, dass es inzwischen viel mehr Fälle gibt. Der Anstieg hängt aber auch damit zusammen, dass es ein verstärktes Hinweisaufkommen unserer Nachrichtendienste gibt“, so Akkuş.
Dennoch ist das Dunkelfeld immens groß. Die Schaffung des neuen Teildezernats und die neu ernannten Themenverantwortlichen sind ein wichtiger Schritt für die NRW-Polizei, um für die zunehmende Bedrohung durch Spionage, Sabotage und Staatsterrorismus gewappnet zu sein.